So bereitet sich Flensburg auf Kroatien vor

Flensburg ist fit für die Europameisterschaft. Bei Versatel gibt es Kickertische zum Warmmachen, Danfoss schiebt TV-Geräte in die Produktion - und an der Uni rätseln Dozenten, ob heute um 18 Uhr überhaupt einer ins Seminar kommt. Bericht, erschienen am 12. Juni im Flensburger Tageblatt.

Bei Cosmo  geht  Schwarz-Rot-Gold weg wie warme Semmeln.     Renate Thomsen  (47), Mitarbeiterin bei dem Friseur in der Flensburg-Galerie, hat  gestern eine der allerletzten Deutschland-Perücken getestet.  Auch eine Fahne hat die Friseurin bereits gekauft - für ihre Kinder. Womit Familie Thomsen bestens auf das Spiel Deutschland - Kroatien heute Abend vorbereitet ist. „Ich tippe 3:1", sagt Thomsen, die sich ab 18 Uhr vor dem Fernseher von ihren Kindern mitreißen lassen will. Überhaupt ist Fußball in Flensburg in aller Munde. Für jeden Fan ist klar, dass mindestens jedes Deutschland-Spiel geguckt werden muss. Doch was machen Berufstätige, die trotz EM länger als 18 Uhr arbeiten müssen?

„Bei uns dürfen die Mitarbeiter statt um 20 Uhr wegen des Deutschland-Spiels  schon um 18 Uhr aufhören zu arbeiten", sagt Michaela Borck, Assistentin der Geschäftsführung beim Callcenter Carebyphone am Pferdewasser, wo es sonst zwischen 18 und 20 Uhr viel zu telefonieren gibt. Auch das Kraftfahrt-Bundesamt will keinem seiner rund 1000 Mitarbeiter  beim Frönen seiner Fußball-Leidenschaft im Wege stehen: „Unsere Mitarbeiter können abends von der Gleitzeit Gebrauch machen", sagt KBA-Sprecher Stephan Elsner. Im Danfoss-Werk wird zwar länger gearbeitet, aber es werden Fernseher aufgestellt. „Wenn die Produktion nicht leidet, kann das EM-Programm verfolgt werden", sagt IT-Leiter Torsten Kremer. Das sei Tradition und habe bislang gut funktioniert. Auch bei Rewe in der Galerie war  ein Fernseher für die Mitarbeiter im Gespräch,  die bis 21 Uhr arbeiten müssen, sagt Marktmanager Andree Schiesewitz. Im Fall eines positiven Turnierverlaufs stellt er in Aussicht: „Sollte Deutschland ins Finale kommen, wird eventuell gemeinsam mit allen Mitarbeitern gegrillt".

Beim Kommunikationsunternehmen Versatel stehen nicht nur Fernseher bereit. „Die Mitarbeiter bekommen auch Spielpläne, die sie sich im Büro aufhängen können", sagt Pressesprecher Robin Schmidt. Außerdem gebe es Kickertische, Tipp-Möglichkeiten und ein Voting zu aktuellen Fußballfragen. Pech dürfte dagegen Kunstdozentin Dr. Christine Heil von der Uni Flensburg haben. Sie bietet ausgerechnet heute  um 18 Uhr - pünktlich zum Anstoß   - ein Seminar an. „Wenn ich gebeten werde, verschiebe ich das Seminar „Soziale Prozesse im Kontext der Kunst", sagt Heil, die die EM als „Kulturereignis" begreift, an dem sie teilnimmt. Ansonsten sehe sie ihre Veranstaltung als „kreatives Gegenprogramm". Wenn niemand komme, werde sie irgendwo in Flensburg das Spiel verfolgen. Überhaupt mangelt es Heil nicht an Kreativität. Sie könne sich gut vorstellen, sich mit Studenten ästhetischen Fan-Praktiken zuzuwenden; oder eine Art „Multi-Tasking-Veranstaltung" anzubieten, bei der sie während eines Fußballspiels Prüfungen abnehme, scherzt Heil. So bleibt auch die Uni nicht außen vor, wenn sich  in der Stadt alles um Fußball dreht. Wie bei Renate Thomsen, die  - eingehüllt in ihren schwarz-rot-goldenen Umhang - mit ihren Kindern dem Anpfiff entgegenfiebert.

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